Innensenatorin Spranger, Geiselhaft geht gar nicht!
Berliner Zeitung interviewt die Innensenatorin und vergisst dabei, dass sich z.Zt. Tausende Berliner in Geiselhaft befinden. - Kommentar
- Zaki Morgenstern
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Erstveröffentlichung: 18.02.2022
Letzte Aktualisierung: 17.08.2022
1 - Seitenhieb gegen Vorgänger Andreas Geisel?
In der Interview-Serie der Berliner Zeitung mit Vertretern des Berliner Senats ist heute Iris Spranger dran, die neue Innensenatorin. Der vieldeutige Titel des Artikels von Andreas Kopietz (1) klingt auf den ersten Blick wie ein verdeckter Seitenhieb gegen ihren Vorgänger Andreas Geisel, der sich während seiner Amtszeit nicht nur mit einer rechtlich anfechtbaren Berliner Abgeordnetenhaus- und Bundestags-Wahl, sondern auch mit völlig unverhältnismäßigen Polizei-Einsätzen anlässlich maßnahmen-kritischer Demonstrationen einen Namen gemacht hat. Nils Melzer, UN-Sonderberichterstatter über Folter, fasste 2021 den Vorwurf gegen die Geisel-Maßnahmen wie folgt zusammen:
Es ist absolut inakzeptabel, wenn die Polizei wegen bloßer Ordnungswidrigkeiten oder zivilem Ungehorsam mit teilweise lebensgefährlicher Gewalt gegen wehrlose Demonstranten vorgeht.
– Nils Melzer (2)
2 - Im Gegenteil: Fortführung der Politik der Stärke
Es braucht leider einen Abo-Zugang, um die volle Bedeutung des Zitats im Kontext zu sehen (3)
Frage von Andreas Kopietz, Berliner Zeitung:
Antwort von Berlins Innensenatorin Iris Spranger:
Wo wir von "Grüppchen" sprechen, so lässt sich erahnen, sind auch die Montags-Spaziergänge nicht weit. Sie sind das Thema des nachfolgenden Frage-Blocks von Andreas Kopietz:
3 - Keine Überforderung der Polizei - Propaganda oder Realitätsferne?
Frage von Andreas Kopietz, Berliner Zeitung:
Eine berechtigte Frage. Zumal die Berliner Polizei ja personalmäßig unter der Pandemie zu ächzen scheint. Laut Pressemeldung rief die Berliner Polizei am 17.01.2022 die "Pandemiestufe eins" aus. Das entspricht einer "krankheitsbedingten Abwesenheit von 15 bis 30 Prozent des Personals". (4)
Begrüßenswerterweise lässt Andreas Kopietz hier sein Spaziergang-Wissen einfließen. Er hatte Anfang Februar eine Spaziergängerin aus Köpenick, die Wissenschaftlerin Birgit Fiedler, interviewt. (5)
Antwort von Berlins Innensenatorin Iris Spranger:
Einspruch! Meine und Andreas Kopietz Beobachtungen widersprechen den Äußerungen der Innensenatorin. Außerdem zeugen unzählige Videos davon, dass die Berliner Polizei montags sehr wohl überfordert ist.
Zunächst die Softversion von Andreas Kopietz aus Berlin Köpenick:
Beamte haben sich postiert, um herauszufinden, wer von den Passanten ein Spaziergänger ist. Denn an diesem Montagabend passiert es wieder. Seit Dezember gehen montags an etlichen Orten in Deutschland insgesamt Hunderttausende auf die Straße, um gegen die Corona-Politik zu protestieren.
Polizeitransporter fahren durch die Bahnhofstraße. Deren Insassen haben die schwere Aufgabe, zu unterscheiden, wer relevant sein könnte. Denn es findet sich keine Menschenmenge ein, sondern Gruppen laufen über den Gehweg mit Ziel Rathaus Köpenick. (5)
Hier die etwas härtere Erfahrung des RBB-Jounalisten Holger Zimmer an einem Montagabend im Dezember an der Gethsemankirche in Berlin Prenzlauer Berg:
Wir waren einfach im freundlichen Gespräch mit dem Polizisten und wirklich aus der Kalten raus wurde meine Freundin dann, „Kommen Sie mit, kommen Sie mit“, wurde abgeführt, wurden die Arme auf den Rücken gedreht und als ich fragte: „Was ist hier los? Warum nehmen Sie sie mit jetzt? Was ist denn hier los? Was ist passiert?“, da wurde ich auch ganz gewalttätig mit meinem Körper, meinem Kopf, meinem Gesicht von mehreren Polizisten auf den Boden gedrückt. Die Hände auf den Rücken, Handschellen dann angelegt und dann wurde ich zu einem Polizeitransporter geführt und musste erstmal dort warten. So, und dann ging das erstmal weiter. Irgendwann haben sie mir die Handschellen abgenommen. Und ich frage, was los sei. Ja, keiner wusste was. Nee, meine Freundin, das können wir nicht wissen, wir waren nicht dabei. Und irgendwann später dann Personalienaufnahme und sowas, Personalausweis-Abgleich, Durchsuchung, hieß es dann, ja, mir wird jetzt vorgeworfen, ich hätte Widerstand gegen die Staatsgewalt geleistet. Und meine Freundin wurde auch festgehalten, eine halbe Stunde. Die hatte noch länger Handschellen, also man sieht es jetzt noch hier, rote Stellen. Und sie wurde auch getreten sozusagen, hat also Schmerzen am Bein (6)
Kein Zeichen von Überforderung? Wenn in Berlin, wie eine Polizeisprecherin in einem Interview sagte, jeden Montagabend rund 50 Versammlungen mit insgesamt 4.000 bis 6.000 Teilnehmern unterwegs sind, könnte man allein daraus schon ableiten, wie schwierig es für die Polizei sein muss, "jede einzelne Demo zu begleiten".
Die Schwierigkeit für die Berliner Polizei liegt m.A.n. darin:
- dass einige Spaziergänge tatsächlich nicht angemeldet sind und damit schwer zu kontrollieren
- dass hier und da Gegendemonstrationen der sogenannten "Antifa" auftauchen und zusätzliche Polizei-Kräfte binden.
und last, but not least:
- dass der tatsächliche Einsatz-Auftrag der Berliner Polizei ein ganz anderer als der Schutz der Gesundheit der Berliner Bevölkerung ist.
4 - Einsatz-Auftrag "Zersetzung der Spaziergänge"?
Am Beispiel des m.A.n. unrechtmäßigen Polizeikessels vom 24.01.2022 in Berlin Köpenick (7) wird deutlich, dass der Einsatz nicht dem Gesundheitsschutz der Bevölkerung dient, sondern offensichtlich der Abschreckung und Verhinderung von friedlichen Versammlungen, der Zersetzung der Spaziergänge.
Das rechtlich zweifelhafte und martialische Auftreten der Polizei führt nicht nur zu einem unverhältnismäßig hohen Aufwand an Material und Personal, sondern bringt auch die Einsatzmoral der Polizei-Einsatzkräfte an den Rand der Erschöpfung. Die Überforderung ist somit vorprogrammiert. Die Innensenatorin handelt damit grob fahrlässig. Spielt sie doch mit der Gefahr der Eskalation und des völligen Zusammenbruchs der Ordnungskräfte. - Wir kommen später auf diesen Punkt zurück.
Betrachten wir zunächst die zweite und letzte Frage zum Thema Corona-Einschränkungen im Interview der Berliner Zeitung mit Innensenatorin Spranger.
5 - Wissenschaftsleugnung der Regierenden - Maske bleibt
Frage von Andreas Kopietz, Berliner Zeitung:
Andreas Kopietz trifft mit seiner Frage den Dreh- und Angelpunkt des herrschenden Einsatz-Narrativs der Berliner Polizei. Es geht nicht mehr um den Schutz der Gesundheit! Wissenschaftsleugner sind hier ganz offensichtlich die Regierenden! Kein Wunder, dass die Innensenatorin ausweicht und leere, autoritäre Phrasen drischt:
Antwort von Berlins Innensenatorin Iris Spranger:
Es ist begrüßenswert, dass Andreas Kopietz von der Berliner Zeitung zentrale Widersprüche des regierenden Berliner Senats aufzeigt und damit das Einsatz-Narrativ als reines Instrument der Machtsicherung entlarvt. Das gibt Hoffnung.
Die tatsächliche Geiselhaft, in dem sich Tausende Berlinerinnen und Berliner zur Zeit befinden, scheint Kopietz aber entgangen zu sein. Jedenfalls sehen wir dazu keine einzige Frage in seinem Interview.
6 - Verlängerte Geiselhaft für Kinder und Ungeimpfte
Letzten Mittwoch haben sich Bund und Länder auf einen Drei-Stufen-Plan geeinigt, mit dem die Corona-Maßnahmen in den kommenden vier Wochen bis zum 20. März zurückgefahren werden sollen. Am Dienstag davor hatte der Berliner Senat bereits die Umsetzung der ersten Stufe beschlossen.
Um es gleich vorwegzunehmen, Kinder und Jugendliche, insbesondere aus weniger gut situierten Familien, haben wie so oft in diesen Zeiten Pech gehabt. Sie sind wiedermal von den ersten Lockerungen des Berliner Senats ausgenommen, müssen sich weiterhin täglich testen und stundenlang Maske tragen. Erst kommende Woche will der Berliner Senat das Thema Lockerungen in Schulen besprechen.
Immerhin ist in Berlin bis Ende Februar die Präsenzpflicht ausgesetzt. Ein guter Deal für Kinder und Jugendliche, die ein gutes Verhältnis zu ihren Eltern haben und nicht darauf angewiesen sind, zum Lernen die Schule zu besuchen.
Größter Nutznießer der ersten Lockerungen sind in Berlin Großveranstalter wie Fußballclubs und der Einzelhandel.
Ungeimpfte dürfen seit Freitag (heute) auch wieder überall shoppen. Was ein Glück! Vielleicht tröstet sie das darüber hinweg, dass sie bei privaten Treffen im Gegensatz zu Geimpften und Genesenen keine Erleichterungen bekommen. Auf die Freiheit im Privaten müssen Ungeimpfte mindestens noch vier Wochen warten.
In Berlin betrifft das nach Angaben des Lageso 832 276 Menschen. Das ist 22,7% (9) also fast ein Viertel der Berlinerinnen und Berliner, die vom Berliner Senat in Geiselhaft genommen werden. Nach dem Motto:
"Solange ihr Gesunden euch nicht impfen lasst, dürft ihr nicht eure Verwandten und Freunde wiedersehen!"
Und dieser Riesenskandal ist Herrn Kopietz von der Berliner Zeitung keine einzige Frage wert?
Anmerkung
Andreas Kopietz von der Berliner Zeitung hat dankenswerterweise einige Details korrigiert und die provokative Frage am Schluss unseres Kommentars folgendermaßen kommentiert:
"Dass Beim Thema "Geiselhaft" für Ungeimpfte wäre Spranger im Übrigen die falsche Ansprechpartnerin gewesen. Das wäre eine Frage an die Gesundheitssenatorin, von deren Behörde die Maßnahmenempfehlungen ausgehen."
– Andreas Kopietz
(1) Berliner Zeitung, Online-Ausgabe vom 18.02.2021 Innensenatorin Spranger: Es geht nicht, dass Berlin in Geiselhaft genommen wird
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(2) Berliner Zeitung, Online-Ausgabe vom 05.08.2021 Polizeigewalt in Berlin: UN-Sonderbeauftragter kündigt Intervention an
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(3) Markierungen durch Zaki M.
(4) Berliner Zeitung, Online-Ausgabe vom 17.01.2022 Berliner Polizei ruft „Pandemiestufe eins“ aus
(5) Berliner Zeitung, Online-Ausgabe vom 09.02.2022 Spaziergang in Köpenick: „Das war für mich die rote Linie“
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(6) Blauerbote.com Videos: RBB-Journalist Opfer von Polizei-Gewalt
(7) Polizeikessel vom 24.01.2022 in Berlin Köpenick
(8) Münchner Merkur, Online-Ausgabe vom 17.02.2022 Corona-Gipfel: Stufenplan, Impfpflicht, „Freedom Day“ - das hat die Scholz-Runde beschlossen
(9) Berlin hat 3 664 088 Einwohner - 2 831 812 mind. einmal Geimpfte = 832 276 https://www.berlin.de/corona/lagebericht/